Ich bin Feministin, du Schlampe!

Irgendetwas stimmt mit dem Titel nicht. Richtig! Wer bei gutem Menschenverstand ist und aufmerksam das letzte Zitat studiert hat, wird feststellen, dass eine Feministin andere weder als Huren, noch als Schlampen bezeichnen sollte - oder mit unzähligen anderen Wörtern beleidigen, die im gleichen Sinne geprägt sind.
Ich möchte hier aber nicht ausschließlich über den Extremfall sprechen - dass eine Feministin andere Frauen wegen ihres Aussehens oder ihrer Sexualverhaltens kritisiert. Es geht generell um das Phänomen, dass Frauen Muster aufgreifen, die ihr eigenes Leben erschweren.

Was ist, wenn man Aussagen von Männern mehr Gehalt beimisst, lieber seine männlichen Freunde als Freundinnen um Rat fragt, wenn man ein Problem mit dem Computer hat? Was, wenn man glaubt, dass die Frau wohl etwas vorsichtiger hätte sein sollen, dann wäre sie auch nicht vergewaltigt worden? Sie hat ja schließlich auch etwas getrunken auf der Party und ließ sich nicht von Bekannten nach Hause begleiten.
Ganz einfach: dann zeigt man alle Anzeichen von sexistischem Verhalten.

Es ist falsch anzunehmen, dass man in böser Absicht handeln muss, um sexistische (oder rassistische etc.) Ansichten zu vertreten. Manchmal reicht es schon, in unserer westlichen Welt zu leben. Wichtiger ist, für Kritik offen zu bleiben und immer in Betracht zu ziehen, dass das eigene Verhalten unangebracht sein könnte.Vor allem sollte man die Fähigkeit besitzen zuzuhören, wenn sich jemand die Mühe macht, einem zu erklären, warum man sin gerade vor den Kopf gestoßen hat.
Eine Senegalesin, die dir etwas über Rassismus erzählt? Zuhören.
Eine Frau, die dir etwas über Sexismus erzählt? Zuhören.
Ein Behinderter, der dir etwas über Ableismus*erzählt? Zuhören.
Menschen, die in ihrem Leben ständig mit einer Form von Diskriminierung konfrontiert sind, sind gleichzeitig die, die solche diskriminierenden Handlungen am zuverlässigsten identifizieren. Denn wie kann man der Person trauen, die von diesen Verhaltensweisen profitiert?

Ich habe zum Beispiel ein Privileg inne, weil ich keinen ausländisch klingenden Namen habe oder ausländisch aussehe. Also kann ich gar nicht aus Erfahrung wissen, wie es ist, bei der Arbeits- oder Wohnungssuche aufgrund von Vorurteilen gegenüber "Fremden" benachteiligt zu werden. Umso mehr lohnt es sich für mich, dem Aufmerksamkeit zu schenken, was andere dazu sagen, die dieses Problem in ihrem Leben tatsächlich kennen. Und vor allem nicht beseitigen können, auch wenn sie wöllten.
Obwohl das Gefühl, kritisiert zu werden, kein schönes ist, kann man hier fürs Leben lernen.

Wie kommt es nun aber, dass Frauen sich Stereotype über das weibliche Geschlecht zu eigen machen und auf deren Grundlage andere Frauen genau so behandeln, wie sie selbst nie behandelt werden möchten?

Es rührt daher, dass sie ihre Umgangsformen der Umgebung angepasst haben.
Wenn es gesellschaftlicher Konsens ist, Frauen nach dem Äußeren zu beurteilen, tun sie das auch bei sich und anderen. Wenn proklamiert wird, Frauen wären für Berufe besser geeignet, die mit Kindern zu tun haben und Männer für Technisches, dann werden sie das irgendwann glauben, so lange sie sich nicht aktiv damit auseinandersetzen. Sie werde möglicherweise sogar anfangen, ihre weiblichen Vorgesetzten in Frage zu stellen und als "Zicke" zu bezeichnen, wenn diese ein selbstbewusstes und durchsetzungsfähiges Verhalten an den Tag legen, das von jedem männlichen Boss erwartet wird.

Obwohl es auf den ersten Blick unlogisch erscheint, passen demnach auch die Benachteiligten in einer Gesellschaft ihre Ansichten an die der Mehrheit an.
Schimpft ein HartzIV-Bezieher also auf die ganzen faulen Nichtskönner, die sim in sirer Lage so einen ungünstigen Ruf verschaffen, lässt en außer Acht, dass genau solche Aussagen für dieses Bild verantwortlich sind. En fördert ein gesellschaftlich akzeptiertes Märchen, dass für sin selbst nachteilig ist.
Die Lage wird dadurch verschärft, dass diskriminierendes Verhalten selten gesellschaftlich sanktioniert wird, sondern mehrheitlich unterstützt.
Es ist natürlich am leichtesten, die Meinung der Mehrheit zu vertreten. Das weiß zumindest jese, der/die jemals versucht hat, sire Position gegen eine ganze Gruppe zu verteidigen. Trotzdem ist es kein Grund, seine Meinung aufzugeben und aus Bequemlichkeit der Masse beizupflichten. Denn es hilft niemandem.
Wie die BILD so schön sagte (schrecklich, welche Opfer man bringen muss, um auf den Punkt zu kommen): Jede Wahrheit braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.

*Abgeleitet von eng.: disability bzw. to be able, Diskriminierung aufgrund von Behinderung


Zweisatz
widerborste (Gast) - 7. Nov, 04:52

interessante genderneutrale variante der personalpronomina (oder was das genau ist)! hast du die selbst ausgedacht?
ich finde auch die rechtschreibreform von zé do rock gut, auch in hinsicht auf genderneutralität - leserinnen und leser werden gemeinsam einfach zu lesis. erstmal etwas gewöhnungsbedürftig, aber eigentlich eingängig und lustig.

Zweisatz - 7. Nov, 08:04

Ja, die sind selber ausgedacht, vollkommen handverlesen :) Siehe hier.
Die genannte Rechtschreibreform muss ich mir mal ansehen, obwohl ich momentan auch recht zufrieden mit Leser_innen bin, nachdem ich die Lücke verstanden habe.
widerborste (Gast) - 11. Nov, 02:12

hallo zweisatz,

bei der Rechtschreibreform von zé do rock handelt es sich im Grunde um teil-geordnete Sprachanarchie... in seiner Autobiografie "vom winde verfeelt" (die ich vor fielen jahren las) führt er eine vereinfachung der deutschen Sprache ein, Kapitel um Kapitel mit einer neuen Regel. Am Ende schafft man es, Dinge zu lesen und zu verstehen, die man zu Beginn nicht verstanden hätte, weil sie so skurril aussehen.

Jedoch - kein Spaß ohne Schatten. Ich habe mir seine Seite mal angeguckt und leider feststellen müssen, dass insbesondere seine Witzeseite, abgesehen davon, dass die Witze nicht witzig sind, entweder latent mysogyn, offen rassistisch oder infantil auf männliche Körperteile bezogen sind. Eigentlich will zé do rock gegenseitige vorurteile aufs Korn nehmen, hat darüber sogar einen film gedreht, reproduziert sie aber selbst immer innerhalb der gängigen Machtgefälle wieder. Aber mach dir selbst ein Bild... www.zedorock.net

Den Unterstrich kenne und verstehe ich zwar, bin aber nicht begeistert. Erstens sieht es so aus, als ob die "_innen" irgendwie abgehängt werden und zweitens siehts trotz allem auch reichlich binär aus. Bei "lesis", um beim genannten Beispiel zu bleiben, fällt das alles weg.
Aber jese nach sire Fassong!

bonne nuit,
W.

Zweisatz - 11. Nov, 08:12

Hey Widerborste,

ich war inzwischen auch mal auf der Seite, aber etwas von der Struktur überfordert.

Die Reproduktion von Vorurteilen ist natürlich etwas, was man nach bester Möglichkeit verhindern sollte – vor allem wenn man gleich die gesamte Gesellschaft (oder ihre Sprache) umstürzen will.
Wohl auch der Grund, warum ich mich mit Weltrevolutions-Bestrebungen nie so recht anfreunden konnte.
[TW - Erwähnung von Vergewaltigung] Denn auch bei den amerikanischen Occupy-Bewegungen kam es wieder zu sexueller Belästigung und auch Vergewaltigungen. (Nicht zu reden davon, dass der Name inhärent rassistisch ist.)
[/TW]

Beim Gender_Gap finde ich hingegen, dass die Wörter immer noch sehr weiblich klingen (also stärker weiblich als männlich), aber das hängt auch nur von der persönlichen Lesart ab.
Dass es reichlich binär wirkt, da gebe ich dir auf jeden Fall recht. Nicht-Binären wird ja gerade mal ein kleiner Unterstrich zugestanden, das ist schon etwas dürftig.
Leider ist es trotzdem die einzige mir bekannte Sprachregelung (außer Hinzunahme eines *), mit der man regelmäßig neue Formen bilden kann, die theoretisch alle mit einbeziehen.
Der Nachteil meiner Personalpronomina ist ja, dass ich wirklich für jedes Wort, das eine männliche und weibliche Form haben kann eigentlich etwas finden müsste.
Dann käme natürlich Zé do Rock ins Spiel, aber die Formen klingen mir dann doch zu krude.

Danke für deine Sicht auf die Dinge auf jeden Fall!

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