Mittwoch, 22. Juni 2011

Warum Feminismus mich glücklich macht

Vollkommen subjektiv möchte ich heute unterbreiten, warum Feminismus, so wie ich ihn auffasse, mich glücklich macht.

Zum Feminismus zähle ich nicht nur das Streben nach Gleichberechtigung von Frauen, sondern auch Anti-Rassismus, herausarbeiten von Ableismus, eintreten gegen Trans- und Homophobie und das in Frage Stellen von eigenen Privilegien.
Was all dies verbindet: dass man anstrebt, Menschen sein zu lassen, wie sie sind, so lange sie Rechte anderer nicht verletzen. Und dass man ihnen zugesteht, eigene Meinungen zu pflegen und Entscheidungen zu treffen - vor allem Entscheidungen darüber, wo sie persönliche Grenzen ziehen und ob diese verhandelbar sind.
Mehr noch: dass man sich in andere hineinversetzt und gegebenenfalls vom eigenen hohen Ross heruntersteigt und sich bemüht, persönliche Vorteile nicht auszunutzen.
Es bedeutet, dass man Grenzen auch bei sich selbst entdeckt und lernt, sie klar zu vertreten. Die Fähigkeit, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu schützen, ist, um genau zu sein, zentral für das persönliche Wohlergehen.
Dieser Prozess der Selbsterkenntnis und -pflege kann auch die Erkenntnis mit sich bringen, was man alles tun darf.

Viele Dinge unterlasse ich ja nicht, weil sie verboten sind, sondern weil ich eines Tages verinnerlichte, dass sie nicht der gesellschaftlichen Norm entsprechen. Dass andere Leute es störend oder gar anstößig fänden, wenn ich gewisse Teile meiner Persönlichkeit öffentlich zeigen oder ausleben würde.
Ob ich nun, ungeachtet der Situation, laut und deutlich meine Meinung widergebe oder einer/einem Freund/in offen mitteile, dass en sire Probleme angehen sollte, statt sie immer wieder zu beklagen - beides gehört für mich dazu. Offensive zeigen, auch wenn es uns kulturbedingt widerstrebt.
Es geht also unter anderem darum, sich bewusst zu machen, welche gesellschaftlichen Sprechverbote man internalisiert hat, die zwischenmenschliche Beziehungen nicht etwa vereinfachen, weil man "Konflikte vermeidet", sondern ein engeres Verhältnis zu den Mitmenschen verhindern.
Denn der Konsens scheint zu besagen, dass man Probleme am besten umgeht oder sie "indirekt löst", indem man alles Mögliche tut - außer mit dem/der Urheber/in zu sprechen.
Dem Argument, dass es einen Menschen verletzt, wenn Probleme, die man untereinander hat, direkt angesprochen werden, kann ich nicht folgen. Denn was verletzt mehr, als von Dritten -vielleicht von Gerüchten verzerrt- zu erfahren, dass es schon lange Differenzen gab, die man nie bemerkt hat?
Ich bin also der Meinung, dass es für jedwede Art von Beziehung förderlich ist, wenn man sich nicht verstellt (oder verstellen muss) und Probleme offen anspricht. Dass man sogar aus einer Konfliktsituation enger verbunden hervorgehen kann, wenn sich alle beteiligten Personen angehört und verstanden fühlen. Dass Miteinander noch angenehmer sein kann, wenn man gemeinsam Differenzen ausgetragen hat.*

Feminismus bedeutet für mich also auch, eine offenere Kommunikation zu pflegen - sich nicht bei Dritten zu beschweren, die in der Situation -objektiv betrachtet- nicht helfen können, sondern Probleme direkt mit deren wahrgenommenen Auslöser zu besprechen.
Auf diese Art erhält man auch Anhaltspunkte, ob es sich lohnt, sich mit einer Person weiter zu beschäftigen oder ob die Probleme, die man mit ihr wahrnahm, nur die Spitze eines Eisberges sind, mit dem zu leben man nicht bereit ist. Denn natürlich kommt es auch vor, dass man feststellt, bestimmte Äußerungen waren kein Scherz, eine inakzeptable Handlung kein Versehen und dass es am besten ist, wenn man diese Person nicht mehr in sein Leben mit einbezieht.

Ich glaube, dass diese offene und ja, auch offensive Art der Kommunikation etwas ist, das bereichernd auf ein Menschenleben wirkt.

Feminismus bedeutet für mich weiter, Verantwortung zu übernehmen. Anzuerkennen, dass man Privilegien inne hat, die andere Bevölkerungsgruppen nicht ihr eigen nennen können. Dass andere jeden Tag Dinge erleben, mit denen ich mich nicht beschäftigen muss, weil ich nicht zu Gruppe X gehöre, von denen sie aber keine Auszeit nehmen können, auch wenn ihre Kraft an diesem Tag schon erschöpft ist.
Feminismus bedeutet zuzugeben, dass meine Taten Konsequenzen haben, für die ich gerade stehen und die ich möglicherweise wieder gutmachen muss.
Dabei ist auch die Verantwortung für meine Gefühle zu nennen.
Ich möchte es mir nicht so einfach machen zu sagen: "XYZ ist daran Schuld, dass ich mich schlecht fühle." Das ist zu undifferenziert.
In erster Linie gibt es Bedürfnisse und Erwartungen, die ich habe und deren Nichterfüllung mich unglücklich macht. Eine andere Person kann den Ausschlag dafür geben, dass eines meiner Bedürfnisse nicht erfüllt oder eine meiner Grenzen verletzt wird, aber es liegt in meiner ganz persönlichen Geschichte, in welcher Weise mich das (be)trifft.
Deswegen liegt es auch an mir, meine Probleme und Wünsche zu kommunizieren und nicht am Gegenüber, auf magische Art in meinen Kopf zu schauen und alles wieder heile zu machen.
Damit will ich nicht sagen, dass alle Verhaltensweisen generell in Ordnung sind; Wenn mir jemand aus heiterem Himmel mutwillig gegen das Knie tritt, muss ich das nicht entschuldigen. Diese Person ist auch für ihre Handlung verantwortlich - wie eben ich für meine. Und ein grundloser Angriff auf meine Person ist nichts, dass ich hinnehmen muss.
Aber welche Handlungen unter "gut" und welche unter "schlecht" fallen und ob es eine Berechtigung für die jeweilige Einordnung gibt, sollte man dennoch von Zeit zu Zeit überdenken.
Denn ich kann etwas für schlecht halten, weil es mir persönlich unangenehm ist, aber das heißt nicht, dass es objektiv verboten gehört (nehmen wir nur das Thema rauchen). Andererseits kann ich Dinge für gut halten, die bei näherer Betrachtung für mich gut sind, weil eine meiner Eigenschaften (heterosexuell, weiß, "able-bodied", cissexuell,...) mich in den Genuss eines Privilegs bringt, aber im gesellschaftlichen Kontext schlecht sind, weil eben nur Menschen mit meinem Privileg X aus dieser Sache Nutzen ziehen können.
Das trifft sowohl auf Veranstaltungen zu, die inhaltlich besuchenswert sind, aber keine behindertengerechten Zugänge bieten und geht weiter mit strikt getrennten sanitären Einrichtungen, deren Benutzung für nicht-Cissexuelle** zu einem Spießrutenlauf werden kann. In beiden Fällen übersieht man als nicht-betroffene Person zu leicht, dass es Menschen gibt, für die sich hier Probleme auftun, was auch dazu führt, dass man sich diese Probleme nicht bewusst macht und sie daher in der Öffentlichkeit nicht ausreichend diskutiert werden.

Feminismus ist also etwas Grundlegendes für mich. Man könnte sagen, es ist die Manifestation meiner Überzeugung, dass jeder Mensch eine Chance in dieser Welt bekommen sollte. Eine Chance sich zu entfalten, eine Chance, sir ganz persönliches Talent zu entdecken, wie Terry Pratchett es ausdrückte.
Feminismus ist quasi das Werkzeug, das mir am besten geeignet schien, auf dieses Ziel hinzuarbeiten.

Im Kontext des Titels ist natürlich nicht alles glücksinduzierend.
Ich lese täglich Dinge, die mich aufregen, stören, traurig machen. Es gibt Menschen, die ich nicht leiden kann - sogar ziemlich viele.
Aber ich möchte einerseits versuchen zu erreichen, dass ich niemanden unbedacht zu letzterer Gruppe zähle und vor allem will ich meinen Blick nicht durch schlechte Beispiele trüben lassen.

Ich brauche öfters eine Auszeit und nehme mein Privileg in Anspruch, mich eine Weile nicht mit all dem Schlechten zu beschäftigen, dass das Leben vieler Menschen beeinträchtigt, wenn nicht gar kostet.
Ich hätte gerne einen magischen einfachen Weg, diese Misstände aufzulösen, aber den gibt es nie.
Trotzdem will ich an meinen Vorstellungen festhalten und versuche, immer wieder meinen Weg anzupassen und einzuschätzen, wie ich am besten meinen kleinen Teil für ein besseres Miteinander beitragen kann.
Denn wenn ich kein höheres Ziel mehr vor Augen hätte und nur frustriert wäre, gebe es nichts mehr zu erreichen, das sich zu erreichen lohnt. Ich will idealistisch bleiben. Ich will es besser machen.


* Natürlich propagiere ich keine alles verzeihende heile Welt. Ich beziehe mich hier vor allem auf Beziehungen persönlicher Natur, in denen man sich den anderen Beteiligten recht eng verbunden fühlt und man sich deshalb wünscht, eine gute Beziehung aufrecht zu erhalten.

** Ich möchte mit diesem Ausdruck nicht Cis-Sexualität zur Norm erklären, sondern vermeiden, dass ich falsche Termini benutze. Natürlich kann man einwenden, dass das eine recht schwache Entschuldigung ist und es in meiner Verantwortung liegt, mich zu bilden. Was vollkommen korrekt ist.



Zweisatz

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