Catch 22

Was mag ich also nicht am aktuellen weiblichen Schönheitsideal, abgesehen von der nicht nachvollziehbaren Überzeugung einiger, dass ich es ihnen "schulden" würde ihnen zu gefallen, denn, klar, als Frau habe ich keine Persönlichkeit oder einen eigenen Plan, was ich mit meinem Leben anstellen möchte – abgesehen davon, jemanden zu heiraten und dann nie wieder das Haus zu verlassen?

Zunächst einmal stehlen die Bemühungen, diesem Ideal zu entsprechen, wertvolle Zeit.
Was du tun könntest: Freunde treffen, dich bilden, dich an deinen Hobbys erfreuen – einfach Dinge tun, die du magst.
Was du stattdessen tust: Jedes Haar am Körper entfernen, außer auf deinem Kopf. Dort darf es nicht fettig aussehen, denn Frauen sind immer absolut gepflegt. Kümmere dich um deine Nägel, deinen schrecklichen Körpergeruch, ruiniere deine Vulva und Vagina mit parfümierten Waschlotionen und Vaginalduschen, achte darauf, dass deine Kleidung sauber ist und zeig', was du hast (oder nicht hast). Wechsel' sie jeden Tag.
Sieh nicht zu androgyn¹ aus, oder man wird dir nachrufen. Sieh nicht zu sexy aus, sonst wird man dir hinterherpfeifen. Kümmere dich um die Falten – wenn sie noch nicht da sind, dann werden sie es bald sein und du wirst unfickbar werden. Kümmere dich um deine Poren. Ja okay, jeder Mensch hat Poren, so wie jeder Mensch einen Kopf hat, aber wenn diese gefotoshopten Models keine zeigen, solltest du das auch nicht.
Leg etwas Makeup auf, aber nicht zu viel. Aber mach' dir nichts vor: egal, was du tust, Menschen werden dein Aussehen in jedem Falle kommentieren, denn im Grunde wirst du niemals gut genug sein, falls du nicht mit einem Penis geboren wurdest, ihn immer noch besitzt und das auch für alle mit deinem männlichen Verhalten klar machst.
Es funktioniert etwa so: Du verbringst deine ganze Zeit damit, dich dem Patriarchat anzupassen, aber du bist immer noch weiblich, also werden wir dich kontrollieren.
Du wirst vielleicht denken, dass du dir die Zeit ersparst und einfach tust, was dir passt? Falsch. Denn in diesem Falle hältst du dich nicht an Gender-Stereotype und versuchst, dir männliche Privilegien zu Nutze zu machen und das ist dir eindeutig nicht erlaubt, weil: Vagina.
Und eine Meinung haben und sie äußern? Also bitte! Du versuchst ja, Platz einzunehmen und das ist verboten. Der Typ neben dir, der seine Beine spreizt? Absolut okay. Du, wie du deine Beine in eine angenehme Position bringst? Abstoßend! All die Jungs in deiner Klasse verteilen ihre Sachen in einem großen Halbkreis um sich herum? Cool. Dein Zeug liegt um dich her verteilt? Entschuldige mal, weißt du nicht, wie man seinen Tisch sauber hält und wie unhöflich ist es überhaupt, diesen Platz nicht für andere aufzugeben? Der Typ in der Straßenbahn mit seinem Rucksack auf dem Rücken, genau in deinem Gesicht? Ist völlig in Ordnung. Offensichtlich stört es ja niemanden. Du mit deinem Rucksack auf? Hallo, Mädchen, was denkst du denn, was du da tust? Störst alle um dich her, stößt an Leute und nimmst überhaupt mehr Platz ein als den, den deine unmittelbaren Körperkonturen abstecken?!

Okay ... zweitens: Du wirst beim Kämpfen behindert.* So einfach ist das. Was wirst du mit deinen spitzen Schuhen, dem engen Rock und den dünnen Klamotten machen, die dich nicht vor Verletzungen schützen können? Falls du rennen musst, musst du deine Schuhe wegkicken. Falls du treten musst, musst du deinen Rock reißen lassen. Dir wurde jedoch von einem sehr jungen Alter an beigebracht, dass du deine Sachen nicht ruinieren darfst. Und heutzutage hast du das so gut verarbeitet, dass du dich unwohl dabei fühlst, sie zurück zu lassen oder sie überhaupt zu beschmutzen. Vielleicht wirst du zögern, weil du dir Sorgen machst, das Leute unter deinen Rock werden sehen können.
Um genau zu sein musst du deine Bewegungen aber die ganze Zeit an deine Kleidung anpassen. Es gibt Orte, an die du nicht gehen kannst, große Schritte, von denen du abgehalten wirst, vielleicht hast du Angst, die Treppe zu nehmen oder bist besorgt, dass jemand ein Bild deiner Unterwäsche schießen könnte. Denn, tja, das ist normal, oder nicht? Wir wissen, dass es geschieht.

Nichtsdestotrotz, lass mich dir sagen: es ist nicht deine Schuld. Diese Gesellschaft hat ein Problem, nicht du. Wenn du "weibliche" Kleidung tragen willst, ist das in Ordnung. Wenn du "männliche" Kleidung tragen willst, ist das in Ordnung. Wenn du einen ambivalenten² Stil magst, ist das auch in Ordnung.
Wenn dir hinterhergerufen wird, du angegriffen, anzüglich angestarrt, beleidigt wirst, wenn du herablassend behandelt wirst oder gar missbraucht: es ist nicht deine Schuld. Es liegt nicht daran, wer du bist, es liegt nicht daran, was du bist, es liegt nicht daran, was du getragen hast, es liegt nicht daran, was du getan hast, es liegt nicht daran, was du sagtest.
Es liegt daran, dass die Menschen, die dich so behandeln, nie darüber nachgedacht haben, was die Gesellschaft mit uns macht. Sie haben niemals ihre eigenen Privilegien reflektiert, sie haben es nicht fertig gebracht, die Verletzungen ihrer Kindheit zu verarbeiten und letztendlich haben sie nicht verstanden, dass man verdammt nochmal keinen Menschen schlecht behandelt und verletzt, scheißegal, was einem passiert ist.
Du warst da, sie waren da. Sie haben etwas Schlimmes getan. Das ist nicht deine Verantwortung.

Anmerkung: Ich wurde teils von "Beauty Bites Beast" von Ellen Snortland inspiriert. Ein gutes Buch, wenn auch etwas victim blamy.

1: Männliche und weibliche Merkmale in sich vereinigen
2: In sich widersprüchlich

*Editiert, um der Wahrheit näher zu kommen.
Bäumchen (Gast) - 27. Nov, 12:51

schönheit ist macht. die einstellung, dass schönsein nicht wichtig ist, auch.

Ich habe mein halbes Leben getan, was ich wollte und wie ich es wollte. Der Preis dafür war, wie ich erst später realisierte, dass ich als Frau einfach nicht mehr in irgendeiner ,,Attraktivitäts"-Kategorie mitspielte und auch von Jungs als seltsames Mischwesen behandelt wurde. Und als ich bemerkte, dass ich so auf sie wirkte, verstärkte ich mein Verhalten noch, um noch demonstrativer zu betonen, wie scheißegal mir die Meinung aller ist. Es ist eine Form von Macht. Andererseits, wie Antje Schrupp mal geschrieben hat, ist auch sich schön zu machen, eine Form von Macht. Ich überlege deshalb, ob wir die Definition von Schönheit nicht an uns reißen sollten, damit nicht mehr von außen bestimmt wird, ob wir schön sind oder nicht. Hab lange Zeit mit dieser einen Kampagne gehadert, die Zettel verteilt, auf denen pauschal einfach steht: ,,Du bist wunderschön." Denn was machen die Menschen, die schon so an sich selber verzweifeln, dass sie über diese Zettel, die ja auch recht unpersönlich sind, nur lachen können? Aber jetzt frage ich mich, ob es möglich ist, sich selber als schön zu definieren, und damit nicht negieren zu müssen, dass ich schön sein will manchmal? (ich spreche jetzt nur von mir und will das auch nicht auf andere ableiten) Ich habe auf jeden Fall andere Menschen gebraucht, die mir soetwas sagen. Ansonsten war der Kampf um ein bedingt unabhängiges Verhalten bezüglich meines Aussehens doch auch mühselig ...

Zweisatz - 27. Nov, 13:25

Hey Bäumchen, danke für deine Perspektive (ich mag übrigens deinen neuesten Artikel).

Eine interessante Diskussion dazu, ob Schönheit Macht mit sich bringt, gibt es hier (so du Englisch nicht zu anstrengend findest): http://thehathorlegacy.com/open-thread-beauty-privilege/

Ich persönlich kann mich mit den "Auch du bist schön"-Kampagnen nicht ganz anfreunden, weil ich "schön" als Kategorie, die den Wert oder die Liebenswürdigkeit eines Menschen bestimmt, überhaupt nicht nützlich finde. Ich bin der Meinung, dass das Selbstwertgefühl einer Person überhaupt nicht von dem (teils recht zufälligen) Aussehen abhängen sollte. In unserer aktuellen Gesellschaft ist das aber ein unerfüllbarer Anspruch.
Ich verstehe auch, dass man als soziales Wesen nicht einfach durchs Leben gehen kann, ohne jemals gezeigt oder gesagt zu bekommen, dass man für Personen wichtig ist, möglicherweise auch wegen (trotz?) des eigenen Aussehens.

Was ich mit Artikel verdeutlichen wollte, ist vor allem, wie schädlich das Schönheitsideal unterm Strich ist, schon auf die vollkommen persönliche Ebene bezogen.
widerborste (Gast) - 29. Nov, 02:18

"schönheit ist macht. die einstellung, dass schönsein nicht wichtig ist, auch."
zwei faszinierende sätze (sozusagen ein zweisatz), in denen ich genau mein erleben wieder finde. als ich vor über 10 jahren von nancy friday „die macht der schönheit“ las, empfand ich, dass es eine wahrheit trifft. ich trennte mich teilweise von meinen bis dahin getragenen schlabberklamotten, zog mich körperbetonter an, schminkte mich ab und zu (was ich bis dahin ablehnte), und hatte das gefühl, einen weiteren teil meiner sexuellen potentiale anzuerkennen – ein gutes gefühl. nebeneffekt war eine bodenlose enttäuschung über die beinahe automatische „positive“ reaktion der männerwelt, die ich erstmal verarbeiten musste. ich hatte solche berechenbaren reaktionen bis dato für einen mythos gehalten, jedenfalls was die intelligenten männer betrifft. ich musste also auch was die letzteren betrifft umdenken.
allerdings gewöhnte ich mich daran und fand schließlich sogar gefallen an dieser form der aufmerksamkeit (suggerierte es mir doch ein meer oder zumindest ziemlich grossen pool an möglichkeiten).
in einer krise (depression) wurde das dann zum fallstrick, weil diese aufmerksamkeit ein kick, ein süßes surrogat für den rest des elends bedeutete. und dieses surrogat machte mich abhängig, indem ich mein verhalten so ausrichtete, dass ich den erhalt des surrogats nicht gefährde. bedeutete also faktisch eine handlungseinschränkung und ausrichtung auf die aussenwirkung, die sich ganz langsam und unbemerkt eingeschlichen hat und deshalb auch so schwer wieder loszuwerden ist. und sie ist total lebenshinderlich. ehrlich gesagt kämpfe ich immer noch damit, sie loszuwerden.
Zweisatz - 29. Nov, 09:39

Hey Widerborste,

ich denke, gepaart mit dem was Depression mit Menschen machen kann, ist es tatsächlich ein "süßes Gift". Wobei ich nicht zu hart damit wäre, dies zu bewerten (also 'Ich bin ein schlimmer Mensch, weil ich diese Aufmerksamkeit genieße/gerade brauche/...' ist mehr oder weniger selbstverletzend, denke ich).

Im Bezug auf die Erkundung der eigenen Wünsche und Vorzüge bezüglich der eigenen Kleidung, Sexualität, Auftreten etc. finde ich es eine sehr gute Sache für sich herauszufinden, inwieweit man gewissen patriarchalen Normen entsprechen möchte. Jedoch hielte ich es für Augenwischerei zu sagen, dass man echte Macht durch "feminine" Kleidung erhält (das gleiche kann übrigens auch für "maskuline" Kleidung gelten). Das Warum ist sehr gut in dem Link beschrieben, den ich in meinem ersten Kommentar postete. – Im Großen und Ganzen kann man durch entsprechende Kleidung zwar "positive" Reaktionen hervorrufen (wenn man es denn mag, nur wegen des Aussehens Beachtung zu finden, was euch auch mitunter zu stören schien), aber diese Reaktion ist leider nur das Kopftätscheln, dass man dafür erhält, sich an bestimmte ungeschriebene Regeln zu halten. Das heißt leider nicht, dass z.B. die eigene Meinung plötzlich ernster genommen wird oder es den Menschen plötzlich egal ist, ob man zufälligerweise noch behindert, homosexuell etc. ist.

Wie immer beschränkt sich, meiner Meinung nach, die Wahlfreiheit nur auf "größeres oder kleineres Übel". Bzw. wird man immer Nachteile zu spüren bekommen, egal für welchen Stil man sich entscheidet, so lange man entweder nicht weiß oder nicht männlich oder nicht cis-sexuell oder nicht heterosexuell ist usw. usf.
widerborste (Gast) - 29. Nov, 16:32

Hey zweisatz,

nö, bewerten tue ich es auch nicht. ich sehe darin nur, wie einfach und unmerkbar das schönheits- und aussehensding sich mit dem selbstwert verbindet und dadurch an ganz tiefe schichten der persönlichkeit greift. bis hin, dass es dadurch handlungsbestimmend werden kann (wie bei mir), was sehr gruselig ist. ein souveräner umgang mit schönheit/aussehen ist glaube ich daran gebunden, dass man sie/es nicht wichtig nimmt (wie bäumchen im zweiten satz schreibt).

was die augenwischerei bezüglich macht durch feminines äußeres betrifft, stimme ich dir absolut zu. es ging bei mir ursprünglich auch weniger um macht, sondern – ausgelöst durch das buch einer feministin – um ein gefühl der sexuellen vollständigkeit mit mir selbst. die wirkung bei männern habe ich nicht als macht empfunden, zu einem späteren zeitpunkt (nach der irritation) eben als spass, als angebot erotischer möglichkeiten, und dann als egofutter.
im übrigen glaube ich, dass die männliche reaktion neben dem von dir erwähnten kopftätscheln auch angst sein kann, wenn eine frau offensiv (und eventuell aggressiv) sexy auftritt. viele kulturelle versuche, frauen zu bändigen, speisen sich meiner meinung nach aus der angst vor oder dem gefühl von kontrollverlust, die männer angesichts von frauen haben können.

Zweisatz - 30. Nov, 19:04

@offensives sexy Auftreten

Da stimme ich dir zu. Wir wollen ja nicht, dass Frauen ihre eigene Sexualität genießen! Wir wollen nur, dass ihre Einstellungen zu ihrer Sexualität nicht den Hetero-Männern im Weg stehen.
Das passiert allerdings schnell, wenn die Frauen tatsächlich entdecken, welche Wünsche und Grenzen sie haben und die nicht einfach überrennen lassen. Dann wird die Grenze von "praktisch" zu "beängstigend" überschritten, denn jetzt verfolgen sie auch ihre eigene Befriedigung und priorisieren die vielleicht sogar gegenüber der Befriedigung ihrer Partner.
delilah (Gast) - 2. Dez, 16:22

wo anfangen.. also, ich schätze diesen blog eigentlich sehr, und ich hab echt probleme mit diesem posting. ich versuche seit der veröffentlichung, die auf den punkt zu bringen. beim mädchenblog gabs letztens was ähnliches, das war aber nochmal ne runde schlimmer. dort (und bei der mädchenmannschaft) kommentiere ich aber nicht so gern, weil ständig beiträge oder ganze diskussionen kommentarlos gelöscht werden. deshalb versuch ichs jetzt mal hier:

ich trage absätze (oder sneakers) und miniröcke (oder jeans). und ich fühle mich angesprochen und angegriffen. mir werden irgendwelche richtig bescheuerten gedankengänge und motive unterstellt (hallo, hijab-debatte!). du kommst mir sogar mit dem vielbeschworenen „pat on the head“. die hand, die das versucht, wird von mir aber normalerweise weggehauen – genau wie deine, die versucht, mich vor mir selbst zu schützen. ich brauch das nicht. solidarisier dich lieber. (das versuchst du zwar im letzten absatz, das macht aber den paternalismus im rest des postings nicht weg.)
was ich mit meiner „wertvollen zeit“ anstelle, ist meine sache. wenn es mir spaß macht, mich mit kleidung und kosmetik zu beschäftigen, kannst du mir das nicht wegnehmen. da du u.a. „dich bilden“ als gegenvorschlag nennst, liegt es nahe, dass du nicht davon ausgehst, dass ich das bereits tue. das ist beleidigend.
weiter passe ich mich nicht „dem patriarchat an“. ich äußere meine meinung, sitze breitbeinig, bin ziemlich unordentlich (toll!) und kann nicht mal kochen. und ich schreie, schubse, spucke und ohrfeige auch mal, wenn es nötig ist. und zwar auch mit absätzen. auf das problem mit dem foto von der unterwäsche wäre ich gar nicht gekommen, vielen dank für das bild in meinem kopf.

der male gaze scheint mir der dreh- und angelpunkt deiner überlegungen zu sein – nicht der meinen. scheiß auf den?

ich hoffe, das war dir nicht zu hart oder so. ich bin wirklich wütend. nicht speziell auf dich, aber gegen die paternalistische haltung, die sich (eben nicht nur) hier bahn bricht. kritik an lookism geht auch anders.

übrigens.. ironie: der name deines blogs.

Zweisatz - 2. Dez, 16:48

Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, deine Gedanken in Worte zu fassen!

Was ich mit diesem Post wirklich nicht machen will, ist Personen zu kritisieren, die irgendetwas von den hier genannten Punkten tun. Alle sollten das Recht haben, sich zurecht zu machen, wie es ihnen passt (oder es zu lassen), beliebig dafür Ressourcen aufzuwenden, so "weiblich" zu sein, wie sie nur möchten (ich schreibe "weiblich" nur in Anführungszeichen, weil ich es für ein Konstrukt halte).
Und es tut mir Leid, wenn es so 'rüberkommt, als würde ich Frauen*, die sich zurecht machen, mangelnde Intelligenz oder Bildung unterstellen (was ich schon deswegen generell zu vermeiden versuche, weil ich "Dummheit" als negatives Attribut anzuwenden überhaupt nicht leiden kann).

Was ich wohl nicht deutlich ausreichend gut formuliert habe: ich wollte zeigen, wie sehr es mich stört, dass eine Frau*, um sich der "Norm" entsprechend zu verhalten, so viel Zeit aufwenden muss. Viele der genannten Aktivitäten brauchen nun einmal ihre Zeit. Wenn eine Frau* das möchte, finde ich das völlig in Ordnung und unterstütze es!
Was ich so perfide finde, ist, dass der Standard an sich, wenn sie ihm denn absichtlich oder unabsichtlich folgen, Frauen* Zeit wegnimmt und in gewisser Hinsicht in Gefahr bringt. Ist das verständlich? :/

Und ich möchte auch nicht sagen, dass Frauen*, die sich "weiblich" kleiden, irgendwie den Feminismus verraten oder sich dem Patriarchat anpassen. Wenn ihre Kleidungspräferenzen zufälligerweise mit den patriarchalen Anforderungen übereinstimmen, ist das halt so. Aber das zieht keine moralische Verurteilung von meiner Seite nach sich, denn was ich auf jeden Fall nicht vorhabe, ist irgendwem_einer vorzuschreiben, wie hän sich kleiden soll.

Mit dem male gaze sind wir alle aufgewachsen. Auch ich muss mir den erst einmal abgewöhnen. Hier wollte ich ihn quasi als Werkzeug verwenden, um die Ungerechtigkeit aufzuzeigen.

Nochmal vielen vielen Dank für den Kommentar. Wenn dir immer noch etwas sauer aufstößt, würde ich mich freuen, wenn du es mich wissen lässt. Aber das ist natürlich dir überlassen.

Edit: Und was ich auch auf keinen Fall sagen wollte, ist, dass irgendwelche negativen Konsequenzen, die Frauen* oberflächlich betrachtet "wegen" ihres Kleidungsstils erfahren, ihre Schuld seien. Nein, auf keinen Fall.
delilah (Gast) - 2. Dez, 17:02

ok, vielleicht hab ichs auch ein bisschen falsch gelesen. (ein kleiner disclaimer in dem tenor wäre wohl hilfreich gewesen...) liegt wahrscheinlich auch an der form, du sprichst die lesenden ja mit „du“ an, und an meinem ärger über dieses eine mädchenblog-ding. würd mich interessieren, was du davon hältst: http://maedchenblog.blogsport.de/2011/11/01/das-taegliche-prozedere/

ich hab den artikel jetzt etwas besänftigt nochmal gelesen, diesmal so wohlwollend, wie es mir möglich ist. eine stelle, die m.e. immer noch definitiv nicht geht, ist: „Du kannst nicht kämpfen. So einfach ist das.“. das ist entweder falsch oder, schlimmer noch, eine self-fulfilling prophecy.

danke für deine antwort. victim-blaming wollt ich dir auch gar nicht unterstellen.

Zweisatz - 2. Dez, 19:15

Was heißt "unterstellen" – ich will ja nicht vergessen, auf welche Arten man meinen Artikel lesen kann und stelle es lieber einmal für alle klar, als dass sich wer Sorgen machen muss, dass ich Leute irgendetwas' beschuldige.

Und auch weiter keine Sorge: so lange ich deine Kommentare veröffentliche, finde ich den Inhalt vollkommen gerechtfertigt – ob verlesen oder einfach anders interpretiert wegen abweichender Erfahrungen ist doch egal. Ich werde lieber auf diese Weise aufmerksam, dass ich nicht ganz eindeutig formuliert habe.

Über die Stelle mit dem Kämpfen werde ich nochmal nachdenken. "Du kannst nicht kämpfen" ist natürlich eine völlig falsche Aussage, auch wenn ich es als Überspitzung gedacht habe.

Zu dem verlinkten Text kann ich nur vorsichtig sagen, dass ich ihn etwas befremdlich finde, weil hm, die Person nicht ganz die Verantwortung für die Gründe zu übernehmen scheint, aus denen sie sich zurecht macht. Ich finde jedoch, dass dieser mein letzter Satz schon wieder etwas victim blamey klingt, denn ... *puh* ich kann mir schon vorstellen, warum manch eine* sich gezwungen fühlen würde, sich zu schminken – also ohne dass wirklich gerne "aus Überzeugung" zu machen.

Kannst du mir vielleicht sagen, wie du den Artikel aufgenommen hast? (Außer "schlecht" ;)
delilah (Gast) - 5. Dez, 22:26

ok, hab mich jetzt dazu durchgerungen, mir den text nochmal reinzuziehen. zum einen stört mich das, was ich schon in den comments versucht habe, anzusprechen: die autorin schreibt explizit nicht aus eigener erfahrung. mich erinnert das an die günther wallraff-methode. bzw. als hätte wallraff (jetzt am beispiel von "schwarz auf weiß", aber no gleichsetzung) ein buch darüber geschrieben, wie sich rassismus für schwarze in deutschland anfühlt,  und das ganz ohne blackface. der text spricht zwar wichtige punkte an, aber das tut der bescheuerte wallraff-film ja auch.

und ja, ich glaube, was du ansprichst, spielt auch eine rolle.  das problem fängt ja schon beim begriff des "victim" an. einen äußeren zwang gibt es - abgesehen von manchen arbeitsplätzen - doch eigentlich nicht, auch wenn sich jemand "gezwungen fühlt" - das ist dann wahrscheinlich der widerliche gesellschaftliche druck, der mit der zeit internalisiert wurde. die einzigen mir bekannten zwänge (im "westen") in diesem zusammenhang sind obenohne- und burqa-verbote o.ä.. gäbe es einen allgemeinen zwang, würde Das Tägliche Prozedere doch auch allgemein befolgt.

kurz: den begriff des opfers kann man auch verwässern, glaube ich. wie kommst du denn auf victim blamey? ich finde nämlich auch, dass beim mblog-text jede agency fehlt: böse welt - wehrloses opfer. und wer sich doch wehrt wird: zurechtgewiesen (und nicht etwa siegen oder so).

Zweisatz - 5. Dez, 22:46

Danke für die Erläuterung.
Ok, den Teil, dass es nicht aus eigener Erfahrung geschrieben war, habe ich nicht gelesen. Das finde ich durchaus wie du problematisch (bei Wallraff bin ich definitiv über die Vokabel "problematisch" hinaus und kann es besser mit einer Folge von Sonderzeichen ausdrücken).

Jetzt muss ich selber nochmal nachdenken, wie genau ich auf victim blamey kam^^ Es ist in diesem Kontext wahrscheinlich nicht der richtige Ausdruck.
Was ich wohl einfangen wollte, ist, dass ich es mir sehr gut vorstellen kann, dass eine Person quasi vollkommen gegen ihren Willen gewisse Dinge tut, um sich gängigen Schönheitsidealen anzunähern - nicht weil sie die Dinge gerne tut oder das Ergebnis persönlich einfach toll findet, sondern nur weil sie sonst gesellschaftliche Ächtung fürchtet. Es liegt also kein "echter" Zwang von außen vor, fühlt sich aber wie ein solcher an.
Und daher fühlte ich mich etwas unwohl dabei, klar zu sagen, dass die Person hier einfach die Verantwortung für ihr Tun von sich weist, weil ich mir halt vorstellen könnte, dass sie sich tatsächlich nicht in der Lage fühlt einen anderen Weg zu gehen, ohne -was weiß ich- Panikattacken durchzumachen.
Aber victim blaming war nicht der richtige Ausdruck dafür.

Äääh, ich hoffe, das macht Sinn.
delilah (Gast) - 6. Dez, 16:26

mhm.. aber ist "quasi vollkommen gegen ihren Willen" nicht auch nur eine andere art, "zwang" zu formulieren? zwang ist für mich, wenn jemand eingesperrt und abgeschoben wird. oder sexualisierte gewalt etc.. aber nicht einfach "alles". und dein beispiel mit den panikattacken klingt mir ehrlich gesagt zu sehr nach extremem einzelfall - wir reden ja hier immerhin über ein gesellschaftlich weit verbreitetes phänomen.
dein letzter war übrigens ein doublepost.

Zweisatz - 6. Dez, 18:09

Worauf ich hinaus wollte, ist, dass ich mir vorstellen kann, dass viele Frauen* sich nicht bewusst sind, dass sie durchaus ein Sagen dabei haben,welche Prozedere sie jeden Tag durchgehen. Daher kann ich mir vorstellen, wie man auf die Idee kommen könnte, einen Artikel wie den auf dem Mädchenblog zu schreiben, wenn er dadurch auch nicht besser wird.
delilah (Gast) - 6. Dez, 18:39

agreed! :)

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