Catch 22
Was mag ich also nicht am aktuellen weiblichen Schönheitsideal, abgesehen von der nicht nachvollziehbaren Überzeugung einiger, dass ich es ihnen "schulden" würde ihnen zu gefallen, denn, klar, als Frau habe ich keine Persönlichkeit oder einen eigenen Plan, was ich mit meinem Leben anstellen möchte – abgesehen davon, jemanden zu heiraten und dann nie wieder das Haus zu verlassen?
Zunächst einmal stehlen die Bemühungen, diesem Ideal zu entsprechen, wertvolle Zeit.
Was du tun könntest: Freunde treffen, dich bilden, dich an deinen Hobbys erfreuen – einfach Dinge tun, die du magst.
Was du stattdessen tust: Jedes Haar am Körper entfernen, außer auf deinem Kopf. Dort darf es nicht fettig aussehen, denn Frauen sind immer absolut gepflegt. Kümmere dich um deine Nägel, deinen schrecklichen Körpergeruch, ruiniere deine Vulva und Vagina mit parfümierten Waschlotionen und Vaginalduschen, achte darauf, dass deine Kleidung sauber ist und zeig', was du hast (oder nicht hast). Wechsel' sie jeden Tag.
Sieh nicht zu androgyn¹ aus, oder man wird dir nachrufen. Sieh nicht zu sexy aus, sonst wird man dir hinterherpfeifen. Kümmere dich um die Falten – wenn sie noch nicht da sind, dann werden sie es bald sein und du wirst unfickbar werden. Kümmere dich um deine Poren. Ja okay, jeder Mensch hat Poren, so wie jeder Mensch einen Kopf hat, aber wenn diese gefotoshopten Models keine zeigen, solltest du das auch nicht.
Leg etwas Makeup auf, aber nicht zu viel. Aber mach' dir nichts vor: egal, was du tust, Menschen werden dein Aussehen in jedem Falle kommentieren, denn im Grunde wirst du niemals gut genug sein, falls du nicht mit einem Penis geboren wurdest, ihn immer noch besitzt und das auch für alle mit deinem männlichen Verhalten klar machst.
Es funktioniert etwa so: Du verbringst deine ganze Zeit damit, dich dem Patriarchat anzupassen, aber du bist immer noch weiblich, also werden wir dich kontrollieren.
Du wirst vielleicht denken, dass du dir die Zeit ersparst und einfach tust, was dir passt? Falsch. Denn in diesem Falle hältst du dich nicht an Gender-Stereotype und versuchst, dir männliche Privilegien zu Nutze zu machen und das ist dir eindeutig nicht erlaubt, weil: Vagina.
Und eine Meinung haben und sie äußern? Also bitte! Du versuchst ja, Platz einzunehmen und das ist verboten. Der Typ neben dir, der seine Beine spreizt? Absolut okay. Du, wie du deine Beine in eine angenehme Position bringst? Abstoßend! All die Jungs in deiner Klasse verteilen ihre Sachen in einem großen Halbkreis um sich herum? Cool. Dein Zeug liegt um dich her verteilt? Entschuldige mal, weißt du nicht, wie man seinen Tisch sauber hält und wie unhöflich ist es überhaupt, diesen Platz nicht für andere aufzugeben? Der Typ in der Straßenbahn mit seinem Rucksack auf dem Rücken, genau in deinem Gesicht? Ist völlig in Ordnung. Offensichtlich stört es ja niemanden. Du mit deinem Rucksack auf? Hallo, Mädchen, was denkst du denn, was du da tust? Störst alle um dich her, stößt an Leute und nimmst überhaupt mehr Platz ein als den, den deine unmittelbaren Körperkonturen abstecken?!
Okay ... zweitens: Du wirst beim Kämpfen behindert.* So einfach ist das. Was wirst du mit deinen spitzen Schuhen, dem engen Rock und den dünnen Klamotten machen, die dich nicht vor Verletzungen schützen können? Falls du rennen musst, musst du deine Schuhe wegkicken. Falls du treten musst, musst du deinen Rock reißen lassen. Dir wurde jedoch von einem sehr jungen Alter an beigebracht, dass du deine Sachen nicht ruinieren darfst. Und heutzutage hast du das so gut verarbeitet, dass du dich unwohl dabei fühlst, sie zurück zu lassen oder sie überhaupt zu beschmutzen. Vielleicht wirst du zögern, weil du dir Sorgen machst, das Leute unter deinen Rock werden sehen können.
Um genau zu sein musst du deine Bewegungen aber die ganze Zeit an deine Kleidung anpassen. Es gibt Orte, an die du nicht gehen kannst, große Schritte, von denen du abgehalten wirst, vielleicht hast du Angst, die Treppe zu nehmen oder bist besorgt, dass jemand ein Bild deiner Unterwäsche schießen könnte. Denn, tja, das ist normal, oder nicht? Wir wissen, dass es geschieht.
Nichtsdestotrotz, lass mich dir sagen: es ist nicht deine Schuld. Diese Gesellschaft hat ein Problem, nicht du. Wenn du "weibliche" Kleidung tragen willst, ist das in Ordnung. Wenn du "männliche" Kleidung tragen willst, ist das in Ordnung. Wenn du einen ambivalenten² Stil magst, ist das auch in Ordnung.
Wenn dir hinterhergerufen wird, du angegriffen, anzüglich angestarrt, beleidigt wirst, wenn du herablassend behandelt wirst oder gar missbraucht: es ist nicht deine Schuld. Es liegt nicht daran, wer du bist, es liegt nicht daran, was du bist, es liegt nicht daran, was du getragen hast, es liegt nicht daran, was du getan hast, es liegt nicht daran, was du sagtest.
Es liegt daran, dass die Menschen, die dich so behandeln, nie darüber nachgedacht haben, was die Gesellschaft mit uns macht. Sie haben niemals ihre eigenen Privilegien reflektiert, sie haben es nicht fertig gebracht, die Verletzungen ihrer Kindheit zu verarbeiten und letztendlich haben sie nicht verstanden, dass man verdammt nochmal keinen Menschen schlecht behandelt und verletzt, scheißegal, was einem passiert ist.
Du warst da, sie waren da. Sie haben etwas Schlimmes getan. Das ist nicht deine Verantwortung.
Anmerkung: Ich wurde teils von "Beauty Bites Beast" von Ellen Snortland inspiriert. Ein gutes Buch, wenn auch etwas victim blamy.
1: Männliche und weibliche Merkmale in sich vereinigen
2: In sich widersprüchlich
*Editiert, um der Wahrheit näher zu kommen.
Zunächst einmal stehlen die Bemühungen, diesem Ideal zu entsprechen, wertvolle Zeit.
Was du tun könntest: Freunde treffen, dich bilden, dich an deinen Hobbys erfreuen – einfach Dinge tun, die du magst.
Was du stattdessen tust: Jedes Haar am Körper entfernen, außer auf deinem Kopf. Dort darf es nicht fettig aussehen, denn Frauen sind immer absolut gepflegt. Kümmere dich um deine Nägel, deinen schrecklichen Körpergeruch, ruiniere deine Vulva und Vagina mit parfümierten Waschlotionen und Vaginalduschen, achte darauf, dass deine Kleidung sauber ist und zeig', was du hast (oder nicht hast). Wechsel' sie jeden Tag.
Sieh nicht zu androgyn¹ aus, oder man wird dir nachrufen. Sieh nicht zu sexy aus, sonst wird man dir hinterherpfeifen. Kümmere dich um die Falten – wenn sie noch nicht da sind, dann werden sie es bald sein und du wirst unfickbar werden. Kümmere dich um deine Poren. Ja okay, jeder Mensch hat Poren, so wie jeder Mensch einen Kopf hat, aber wenn diese gefotoshopten Models keine zeigen, solltest du das auch nicht.
Leg etwas Makeup auf, aber nicht zu viel. Aber mach' dir nichts vor: egal, was du tust, Menschen werden dein Aussehen in jedem Falle kommentieren, denn im Grunde wirst du niemals gut genug sein, falls du nicht mit einem Penis geboren wurdest, ihn immer noch besitzt und das auch für alle mit deinem männlichen Verhalten klar machst.
Es funktioniert etwa so: Du verbringst deine ganze Zeit damit, dich dem Patriarchat anzupassen, aber du bist immer noch weiblich, also werden wir dich kontrollieren.
Du wirst vielleicht denken, dass du dir die Zeit ersparst und einfach tust, was dir passt? Falsch. Denn in diesem Falle hältst du dich nicht an Gender-Stereotype und versuchst, dir männliche Privilegien zu Nutze zu machen und das ist dir eindeutig nicht erlaubt, weil: Vagina.
Und eine Meinung haben und sie äußern? Also bitte! Du versuchst ja, Platz einzunehmen und das ist verboten. Der Typ neben dir, der seine Beine spreizt? Absolut okay. Du, wie du deine Beine in eine angenehme Position bringst? Abstoßend! All die Jungs in deiner Klasse verteilen ihre Sachen in einem großen Halbkreis um sich herum? Cool. Dein Zeug liegt um dich her verteilt? Entschuldige mal, weißt du nicht, wie man seinen Tisch sauber hält und wie unhöflich ist es überhaupt, diesen Platz nicht für andere aufzugeben? Der Typ in der Straßenbahn mit seinem Rucksack auf dem Rücken, genau in deinem Gesicht? Ist völlig in Ordnung. Offensichtlich stört es ja niemanden. Du mit deinem Rucksack auf? Hallo, Mädchen, was denkst du denn, was du da tust? Störst alle um dich her, stößt an Leute und nimmst überhaupt mehr Platz ein als den, den deine unmittelbaren Körperkonturen abstecken?!
Okay ... zweitens: Du wirst beim Kämpfen behindert.* So einfach ist das. Was wirst du mit deinen spitzen Schuhen, dem engen Rock und den dünnen Klamotten machen, die dich nicht vor Verletzungen schützen können? Falls du rennen musst, musst du deine Schuhe wegkicken. Falls du treten musst, musst du deinen Rock reißen lassen. Dir wurde jedoch von einem sehr jungen Alter an beigebracht, dass du deine Sachen nicht ruinieren darfst. Und heutzutage hast du das so gut verarbeitet, dass du dich unwohl dabei fühlst, sie zurück zu lassen oder sie überhaupt zu beschmutzen. Vielleicht wirst du zögern, weil du dir Sorgen machst, das Leute unter deinen Rock werden sehen können.
Um genau zu sein musst du deine Bewegungen aber die ganze Zeit an deine Kleidung anpassen. Es gibt Orte, an die du nicht gehen kannst, große Schritte, von denen du abgehalten wirst, vielleicht hast du Angst, die Treppe zu nehmen oder bist besorgt, dass jemand ein Bild deiner Unterwäsche schießen könnte. Denn, tja, das ist normal, oder nicht? Wir wissen, dass es geschieht.
Nichtsdestotrotz, lass mich dir sagen: es ist nicht deine Schuld. Diese Gesellschaft hat ein Problem, nicht du. Wenn du "weibliche" Kleidung tragen willst, ist das in Ordnung. Wenn du "männliche" Kleidung tragen willst, ist das in Ordnung. Wenn du einen ambivalenten² Stil magst, ist das auch in Ordnung.
Wenn dir hinterhergerufen wird, du angegriffen, anzüglich angestarrt, beleidigt wirst, wenn du herablassend behandelt wirst oder gar missbraucht: es ist nicht deine Schuld. Es liegt nicht daran, wer du bist, es liegt nicht daran, was du bist, es liegt nicht daran, was du getragen hast, es liegt nicht daran, was du getan hast, es liegt nicht daran, was du sagtest.
Es liegt daran, dass die Menschen, die dich so behandeln, nie darüber nachgedacht haben, was die Gesellschaft mit uns macht. Sie haben niemals ihre eigenen Privilegien reflektiert, sie haben es nicht fertig gebracht, die Verletzungen ihrer Kindheit zu verarbeiten und letztendlich haben sie nicht verstanden, dass man verdammt nochmal keinen Menschen schlecht behandelt und verletzt, scheißegal, was einem passiert ist.
Du warst da, sie waren da. Sie haben etwas Schlimmes getan. Das ist nicht deine Verantwortung.
Anmerkung: Ich wurde teils von "Beauty Bites Beast" von Ellen Snortland inspiriert. Ein gutes Buch, wenn auch etwas victim blamy.
1: Männliche und weibliche Merkmale in sich vereinigen
2: In sich widersprüchlich
*Editiert, um der Wahrheit näher zu kommen.
Zweisatz - 26. Nov, 19:54
schönheit ist macht. die einstellung, dass schönsein nicht wichtig ist, auch.
Eine interessante Diskussion dazu, ob Schönheit Macht mit sich bringt, gibt es hier (so du Englisch nicht zu anstrengend findest): http://thehathorlegacy.com/open-thread-beauty-privilege/
Ich persönlich kann mich mit den "Auch du bist schön"-Kampagnen nicht ganz anfreunden, weil ich "schön" als Kategorie, die den Wert oder die Liebenswürdigkeit eines Menschen bestimmt, überhaupt nicht nützlich finde. Ich bin der Meinung, dass das Selbstwertgefühl einer Person überhaupt nicht von dem (teils recht zufälligen) Aussehen abhängen sollte. In unserer aktuellen Gesellschaft ist das aber ein unerfüllbarer Anspruch.
Ich verstehe auch, dass man als soziales Wesen nicht einfach durchs Leben gehen kann, ohne jemals gezeigt oder gesagt zu bekommen, dass man für Personen wichtig ist, möglicherweise auch wegen (trotz?) des eigenen Aussehens.
Was ich mit Artikel verdeutlichen wollte, ist vor allem, wie schädlich das Schönheitsideal unterm Strich ist, schon auf die vollkommen persönliche Ebene bezogen.
zwei faszinierende sätze (sozusagen ein zweisatz), in denen ich genau mein erleben wieder finde. als ich vor über 10 jahren von nancy friday „die macht der schönheit“ las, empfand ich, dass es eine wahrheit trifft. ich trennte mich teilweise von meinen bis dahin getragenen schlabberklamotten, zog mich körperbetonter an, schminkte mich ab und zu (was ich bis dahin ablehnte), und hatte das gefühl, einen weiteren teil meiner sexuellen potentiale anzuerkennen – ein gutes gefühl. nebeneffekt war eine bodenlose enttäuschung über die beinahe automatische „positive“ reaktion der männerwelt, die ich erstmal verarbeiten musste. ich hatte solche berechenbaren reaktionen bis dato für einen mythos gehalten, jedenfalls was die intelligenten männer betrifft. ich musste also auch was die letzteren betrifft umdenken.
allerdings gewöhnte ich mich daran und fand schließlich sogar gefallen an dieser form der aufmerksamkeit (suggerierte es mir doch ein meer oder zumindest ziemlich grossen pool an möglichkeiten).
in einer krise (depression) wurde das dann zum fallstrick, weil diese aufmerksamkeit ein kick, ein süßes surrogat für den rest des elends bedeutete. und dieses surrogat machte mich abhängig, indem ich mein verhalten so ausrichtete, dass ich den erhalt des surrogats nicht gefährde. bedeutete also faktisch eine handlungseinschränkung und ausrichtung auf die aussenwirkung, die sich ganz langsam und unbemerkt eingeschlichen hat und deshalb auch so schwer wieder loszuwerden ist. und sie ist total lebenshinderlich. ehrlich gesagt kämpfe ich immer noch damit, sie loszuwerden.
ich denke, gepaart mit dem was Depression mit Menschen machen kann, ist es tatsächlich ein "süßes Gift". Wobei ich nicht zu hart damit wäre, dies zu bewerten (also 'Ich bin ein schlimmer Mensch, weil ich diese Aufmerksamkeit genieße/gerade brauche/...' ist mehr oder weniger selbstverletzend, denke ich).
Im Bezug auf die Erkundung der eigenen Wünsche und Vorzüge bezüglich der eigenen Kleidung, Sexualität, Auftreten etc. finde ich es eine sehr gute Sache für sich herauszufinden, inwieweit man gewissen patriarchalen Normen entsprechen möchte. Jedoch hielte ich es für Augenwischerei zu sagen, dass man echte Macht durch "feminine" Kleidung erhält (das gleiche kann übrigens auch für "maskuline" Kleidung gelten). Das Warum ist sehr gut in dem Link beschrieben, den ich in meinem ersten Kommentar postete. – Im Großen und Ganzen kann man durch entsprechende Kleidung zwar "positive" Reaktionen hervorrufen (wenn man es denn mag, nur wegen des Aussehens Beachtung zu finden, was euch auch mitunter zu stören schien), aber diese Reaktion ist leider nur das Kopftätscheln, dass man dafür erhält, sich an bestimmte ungeschriebene Regeln zu halten. Das heißt leider nicht, dass z.B. die eigene Meinung plötzlich ernster genommen wird oder es den Menschen plötzlich egal ist, ob man zufälligerweise noch behindert, homosexuell etc. ist.
Wie immer beschränkt sich, meiner Meinung nach, die Wahlfreiheit nur auf "größeres oder kleineres Übel". Bzw. wird man immer Nachteile zu spüren bekommen, egal für welchen Stil man sich entscheidet, so lange man entweder nicht weiß oder nicht männlich oder nicht cis-sexuell oder nicht heterosexuell ist usw. usf.