Gefangen im Netz der Beschützerphantasien

In letzter Zeit ist es schwer für mich geworden, "Krimi"-Serien zu schauen. Ich tue dies ohnehin nicht regelmäßig, aber ein wenig Law and Order oder einer der unzähligen CSI-Abklatsche, Bones oder Crossing Jordan finden sich ab und zu auf dem Bildschirm.
Es ist, besonders bei den amerikanischen Serien, auffällig, dass man sich bemüht, den Anschein von Gleichberechtigung zu wahren. Die Quote von Frauen, Schwarzen, Latinos und gar Juden soll möglichst "korrekt" sein. Weniger im Sinne von "realistisch", sondern "politisch korrekt". Denn wie viele Minderheiten man auch vertreten sieht, es würde mich wundern, wenn die (Fernseh-) Quoten der Realität entsprächen.
Allerdings sind die Fernsehgeschichten noch ominöser; Die weiblichen Cops und Pathologinnen haben oft ein dunkles Geheimnis. Ob sie vor ihrem Job bei der Polizei Stripperin waren (CSI), unter schwierigen Familienverhältnissen leiden (Crossing Jordan) oder während einer Vergewaltigung gezeugt worden sind (Law and Order). Es scheint, als würde man bevorzugt den weiblichen Darstellern hoch emotionale Lebensgeschichten andichten. Diese Hintergrund-Geschichten bieten die Möglichkeit, ein wenig Gefühlschaos in der Serie zu porträtieren, aber vor allem stellen sie einen bunten Topf voller Probleme zur Verfügung, die als Auslöser und Rechtfertigung für Nervenzusammenbrüche und tränenreiche Geständnisse dienen. Einmal mehr sind die Frauen für den "emotionalen" Faktor in einer Serie zuständig, während die Männer das logische Denken und den verschlossenen einsamen Wolf darstellen sollen. Dies wird, wenn man genauer darauf achtet, auch deutlich in den Unterhaltungen.
Frauen (und Schwarze, sowie Latinos) dürfen inzwischen auch kluge Dinge sagen, ziehen aber unterm Strich nicht annähernd so viele scharfsinnige Schlüsse wie ihre männlichen, weißen Kollegen. Auch der "Habe ich doch Recht gehabt"-Blick ist ihnen seltener vergönnt. Dafür dürfen Frauen (oder Spinner, wie Nigel in Crossing Jordan) moralisch-ethische Instanz spielen und mit Hilfe mancher als esoterisch verlachter Ideen dem Ermittler-Sein einen flauschigen Anstrich geben.
Oh - das heißt nicht, dass sie damit am Ende Recht bekommen. Sorry, da lag ein Missverständnis vor…

Trotz langer Einleitung, die Motivation für diesen Beitrag lag woanders. Bei ... Entführung! Kidnapping. Folter. Viktimisierung.
Denn was mir bei den Serien in letzter Zeit auffiel (neben der unpassend modischen Kleidung der Ermittlerinnen und ihren tief ausgeschnittenen Dekolletés), ist, dass man sie gerne selbst zum Opfer werden lässt. Ich habe inzwischen vier Mal eine Vorschau bzw. Folge gesehen, die erahnen lässt, dass diesmal eine Ermittlerin selbst Opfer wird, üblicherweise in Form einer Entführung, aber manchmal auch durch einen tätlichen Übergriff.
Sicherlich, es ist ausgelutscht, erst die Leiche des Opfers zu finden oder bereits zu Anfang die Tat zu zeigen, damit die Ermittler dann Stück für Stück ihre unglaublich akkuraten Gedanken zu einem großen Bild zusammensetzen. Man hat später das Privatleben der Polizisten und Kriminologen involviert, um den Zuschauern mehr Identifikations-Fläche und eine vielfältigere Story zu bieten - aber warum werden nicht die Männer entführt? Eignen sie sich nicht als Opfer? Kann man sich nicht vorstellen, dass sie auch nur einen Tag in einem verlassenen Gebäude festsitzen, weil sie sich - MacGyver-gleich - innerhalb von Minuten befreien würden? Die Frauen aber nicht?
Ich schätze, Ausschlag gebend sind eine Portion Voyeurismus (aufgerissene Oberteile, bebende Busen) und vor allem der "Kitzel", ob sie nicht auch vielleicht vergewaltigt oder in anderer Weise verletzt und erniedrigt werden, durch die man ein wenig mehr Fleisch sehen könnte.
Gehen meine Gedanken hier in ein abwegige Richtung oder ist es nicht das, was man ständig in Krimis sieht? Ausführlich zeigt man die (fast) nackten und üblicherweise missbrauchten Frauenkörper, es wird ellenlang darüber fabuliert, wer wen penetriert hat; es scheint, als würde das amerikanische Publikum hier den sexuellen Kitzel bekommen, der sonst nirgendwo im Fernsehen erlaubt ist. Aber eine Leiche ist ja keine nackte Frau und wir reden hier über Penisse, weil es um die Aufklärung eines Verbrechens geht. Alles total wissenschaftlich und korrekt, klar?
Zurück zu den Ermittlerinnen, die zu Opfern werden. Man muss hier einen Spagat meistern, der darauf beruht, dass die Frauen einerseits nicht zu schwach erscheinen dürfen, weil sonst ihre Rolle in der Serie unglaubwürdig erscheint (wo sie den Verbrechern üblicherweise überlegen sind) - aber sie dürfen auch nicht zu stark sein, weil sie sonst nicht mehr "weich" und "feminin" sind und daraus folgend vor allem nicht mehr ausreichend sexy, um ihr Auftreten in der Serie zu rechtfertigen.

Wer sich schon immer gefragt hat, warum die weiblichen Cops und Anwältinnen so ausgesprochen zurechtgemacht sind, während ihre männlichen Kollegen in der immer gleichen Kleidung (immerhin zuweilen Anzug) und dem gleichen Haarschnitt erscheinen, dem sei gesagt: weil diese Serien sich ebenfalls nach dem "Wunsch" des stereotypen männlichen, heterosexuellen Zuschauers richten. Paradoxerweise tut es nichts zur Sache, ob eine Serie hauptsächlich von Frauen eingeschaltet wird. Vielleicht auch von Schwulen. Oder von anderen Gruppen, denen überhaupt keine Identifikationsfigur geboten wird (man erinnere sich an die Unmenge von transsexuellen oder behinderten Darstellern, die jeden Tag über den Bildschirm flimmern).
Man bleibt bei dem, was man im täglichen Leben sonst auch erlebt: ein Markt, der nicht auf Hetero-Männer ausgerichtet ist, kann eigentlich kein Markt sein. Also produziert man irgendwann eine Folge, in der die (zu?) starken Frauen schwach, verwundbar und ein bisschen naggisch sind und schon hat man den Zuschauern die Angst genommen, Frauen könnten inzwischen das, wozu Männer fähig sind und sie schauen beruhigt weiter zu, wie jede Woche minutiös die Verstümmelung fiktiver Mitmenschen aufgeklärt wird.

Ich bleibe dabei: das Auftreten von (den paar vertretenen) Minderheiten in diesen Serien hat nichts damit zu tun, dass wir in einer gleichberechtigten Welt leben, sondern in einer, wo es tatsächlich Quoten braucht, damit bestimmte Gruppen überhaupt eine Chance haben, einen Platz in der öffentlichen Wahrnehmung zu finden. Dass sie dann eine eigene Persönlichkeit fern von Stereotypen haben dürften, ist aber wirklich zu viel verlangt.


Zweisatz

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