Probleme, die es nicht gibt

Die Problematik (Geschlechter-) Gleichheit wird öffentlich selten wahrgenommen und somit nicht diskutiert – Bis auf die gelegentlich wiederkehrenden Überfälle auf Dönerbuden oder dem jährlichen Bericht, dass Deutschland bei der Gleichbezahlung von Männern und Frauen europaweit immer noch auf einem der letzten Plätze liegt. Diese Nachrichten eröffnen die Möglichkeit, einmal guter Mensch zu spielen und „Da muss man doch etwas tun.“ in die Welt zu entlassen und dann kann man diese unbedeutenden Anomalien bis zur nächsten großen Meldung aus dem eigenen Blickfeld verbannen.
Es sei denn, man gehört einem Teil der Bevölkerung an, der einer persönlichen Auseinandersetzung nicht entkommt.

Ich kann bei einem Orkan in meinem schützenden Haus bleiben, ich kann mich beim Autofahren anschnallen, aber ich kann mich nicht völlig aus einer Gesellschaft entfernen, die mich unrecht behandelt oder gar bedroht.
Es gibt also Menschen, die damit leben müssen, dass sie wegen persönlicher Merkmale, auf die sie keinen Einfluss haben, wie etwa (soziales) Geschlecht¹, Hautfarbe, sexuelle Orientierung, Behinderung, chronische Krankheiten, etc. diskriminiert werden .
Die Diskussion ihrer alltäglichen Schwierigkeiten wird jedoch größtenteils vernachlässigt. Was nicht in den Medien ist, ist nicht da (sehr zu empfehlen: Kann nicht sein, was nicht sein darf?).
Des Weiteren orientiert sich unsere Gesellschaft nach wie vor an der „Normalität“ des weißen, heterosexuellen cis-Mannes². Das bedeutet nicht, dass Menschen mit anderen Eigenschaften offiziell als abnormal bezeichnet werden. Aber sie können täglich erleben, was es heißt, nicht der Norm zu entsprechen. Das fängt damit an, in Literatur, Film und Werbung unterrepräsentiert zu sein oder nicht existent. Es geht in Ausbildung und Arbeit weiter, wo Leistungen unterschiedlich bewertet und honoriert werden (etwa in Form von niedrigerem Gehalt oder schlechteren Einstellungschancen). Es endet damit, dass es nur mithilfe eines unglaublichen Kraftakts möglich ist, ihre Lage in den Fokus der gesellschaftlichen Wahrnehmung zu rücken.

Aus dieser Gesamtsituation folgen negative Konsequenzen für Menschen, die Diskriminierung melden, auf Misstände aufmerksam machen.
Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine Frau kein Gehör findet, wenn sie in einer männlich dominierten Branche bei ihrem männlichen Vorgesetzten eine Beschwerde wegen belästigendem Verhalten eines anderen Mitarbeiters einlegt? Oder dass sie eine beschwichtigende Antwort erhält, dass sich das Problem schon von selbst klären wird? Oder – eine der frustrierendsten Möglichkeiten – dass ihr gar suggeriert wird, dass sie das Verhalten selbst provoziert und zu verantworten hat?
Es mag nicht die Regel sein, dass sie im Regen stehen gelassen wird, aber es fragt sich, welche Handlungsmöglichkeiten übrig bleiben, wenn man merkt, dass einem nicht geholfen wird, weil man in erster Linie unbequem ist und die eigenen Probleme als zweitrangig wahrgenommen werden.

So lange kein angemessener gesellschaftlicher Konsens darüber existiert, welches Verhalten wirklich diskriminierend ist, bleiben Vielen die Hände gebunden, wenn sie sich selbst aus einer nachteiligen Situation befreien wollen. – Der aktuelle Konsens ist lächerlich.

1 Das soziale Geschlecht, eng.: gender; steht im Gegensatz zum biologischen Geschlecht, eng.: sex
2 cis-(gendered): Menschen, die das gleiche Identitätsgeschlecht haben, wie das ihnen aufgrund ihrer körperlichen Merkmale nach der Geburt zugeordnete; im Gegensatz zu eng.: transgender


Zweisatz

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