Politik und Co.

Freitag, 14. Oktober 2011

Facebook-Revoluzzer

Leute, die sich für ähnliche Themen (und vor allem ähnliche Blogs oder Suppen) wie ich interessieren, haben sicher schon von der "Occupy Wallstreet"-Bewegung in den USA und den weit verbreiteten Protesten gehört. Wie auch die Facebook-Gemeinde, in deren Schoß man sich gemütlich mit anderen zu einer Wohlfühl-Protestbewegung zusammenschließen kann.
Versteht mich nicht falsch, ich unterstütze die amerikanischen Proteste und den dahinter stehenden Gedanken, je nach Gerüst auch die deutschen Ableger, aber diese Facebookseite ist einfach zu gruselig.
Während auf amerikanischen Blogs darüber diskutiert wird, ob die Zusammenkunft vieler vieler Menschen unter dem Label "99%" nicht dazu führt, dass die Wahrnehmung der Nachteile, die viele der Anwesenden in Relation zu anderen Anwesenden erdulden müssen, verwaschen wird, muss man auf der Facebookseite lesen
Wir zeigen uns solidarisch mit den weltweiten 'Occupy' Bewegungen.

Die herrschenden Mächte arbeiten zum Vorteil einiger Weniger und sie ignorieren den Willen der überwiegenden Mehrheit. Diese untragbare Situation muss ein Ende haben.

Vereinigt in einer Stimme werden wir den Politikern, und der Finanzelite, denen sie dienen, sagen, dass es an uns, den Bürgern, ist, über unsere Zukunft zu entscheiden.

Wir sind keine Waren in den Händen der Politiker und Banker !


Wir sind Menschen wie DU und ich.
Wir sind Mütter und Väter.
Wir sind Akademiker und Menschen ohne Bildungsabschluss.
Wir sind Wissenschaftler, Politiker, Studenten, Schüler und Hausfrauen.
Wir sind arm oder wohlhabend ... und einige von uns sind sogar reich.
Wir sind Angestellte, Arbeiter, Selbständige, Arbeitslose oder Arbeitgeber.
Wir sind Deutsche oder aus einem anderen Land.
Wir sind Christen, Moslems, Buddhisten, Philosophen und Atheisten.
Wir sind heterosexuell, bisexuell, homosexuell ...
Wir sind Intellektuelle, Künstler, Musiker, Freaks und Normalos.
Wir sind die 99%.
Excuse me, dear? Ich habe nie großen Wert darauf gelegt, dass Texte gegendert werden (obwohl sich das in letzter Zeit, auch durch mein Studienfach, leicht geändert hat), aber dieser strotzt nur so von Zeichen, dass hier ein weißer, privilegierter Mann an der Tastatur saß.
Fällt irgendjemandem sonst auf, dass fast nur Beschäftigungen höherer Bildung genannt werden, Mehrheiten (Deutsche, Christen, heterosexuelle), die es eindeutig am leichtesten haben in dieser unserer Gesellschaft, auf Grund ihrer privilegierten Stellung, immer zuerst genannt werden, wenn nicht ausschließlich und –was mich wirklich vom Hocker haut– die einzigen der genannten dediziert weiblichen Formen tatsächlich "Mütter" und "Hausfrauen" sind? Jetzt echt?

Ja ja, manche Proteste funktionieren nun einmal erst richtig, wenn es auch den Privilegierten schlecht geht, aber vor allem im Zuge der Botschaft der namensgebenden "Occupy"-Bewegung, ist dieser Aufruf für mich blanker Hohn.
Minderheiten werden unsichtbar gemacht, Gründe erscheinen recht wirr und ungeklärt ("wir" zeigen den Politikern, wo der Hammer hängt, aber "wir" sind gleichzeitig Politiker?! Oder ist das ein exklusiver Relativsatz? Wir zeigen es also nur den Politikern, die auch tatsächlich für "die Finanzelite" arbeiten?).

Nein danke, bei dieser Protestbewegung muss ich wirklich ablehnen.

Dienstag, 16. August 2011

Deutschenhass - Hassdeutsche

In diesem Artikel geht es um einen Angriff mehrerer jugendlicher Migranten auf zwei Deutsche im Februar. Der Artikel spricht vom "verschwiegenen Problem des Rassismus gegen Deutsche in Deutschland" [dies ist kein Zitat, sondern eine Paraphrase]. Es wird zu bedenken gegeben, dass, wenn man das Thema totschweigt, der NPD und anderen rechten Gruppierungen die Deutungshoheit über solche Ereignisse überlassen wird und sie das möglicherweise für Wahlerfolge nutzen können. Ganz am Ende des Artikels wird endlich in eine Kerbe gehauen, mit der ich mich identifizieren kann:
Zweifellos sind Migranten in ganz anderem Ausmaß rassistischer Diskriminierung durch Deutsche ausgesetzt als umgekehrt. Das zeigen nicht nur die vielen Verbrechen rechtsextremer Gewalttäter. Die Vereinten Nationen haben gerade der Bundesrepublik vorgehalten, Migranten würden bei der Wahrnehmung des Rechts auf Bildung und Beschäftigung behindert. Das ist empörend.
Genau hier liegt meines Erachtens das wahre Problem. - Natürlich ist es inakzeptabel, dass Menschen andere Menschen angreifen, verletzen, Beleidigungen an den Kopf werfen etc., aber oftmals habe ich den Eindruck, dass in Diskursen, in denen es um Verfehlungen geht, die mutmaßlich Migranten begangen haben, die gesellschaftliche Realität verkannt wird. Das führt zu einseitigen Forderungen wie härterem Jugendstrafrecht, Erziehung der Täter etc., aber dies bedeutet, das Symptom zu behandeln und nicht die Ursache.
Offensichtlich hat sich bei diesen Jugendlichen ein Hass gegen Deutsche entwickelt. Und der muss irgendwo herkommen. Die Wahrscheinlichkeit ist meiner Meinung nach hoch, dass er u.a. von schulischer oder karrierebezogener Perspektivlosigkeit, strukturellem Rassismus in Ämtern, Feindseligkeit von Deutschen herrührt. Es reicht doch eine Zeitung zu Zeiten Sarrazins aufzuschlagen und als Migrant/in muss man lesen, wie dort ernsthaft die These eines hasserfüllten Menschen diskutiert wird, Migranten könnten erblich bedingt dümmer sein! Worauf ich hinaus will: man kann ausschließlich den vier Angeklagten die Schuld zusprechen (falls sie schuldig gesprochen werden), sie einsperren oder sonstwie sanktionieren oder man kann (gleichzeitig) erkennen, dass diese Gewalttat nicht aus heiterem Himmel geschehen ist, sondern ein gesellschaftliches Problem Deutschlands verdeutlicht: der weit verbreitete Fremdenhass, der für viele Migranten und Menschen, die als solche betrachtet werden, tägliche Nachteile und Schikanen mit sich bringt. Und dann kann man sich überlegen, wie man etwas dagegen tut.
Zur Klärung: wenn diese Jugendlichen das ihnen vorgeworfene Verbrechen verübt haben, müssen sie die Verantwortung dafür tragen. Auch unter ungerechten gesellschaftlichen Bedingungen steht es niemandem zu, die dadurch aufgestauten Aggressionen zu "verarbeiten", indem andere Menschen angegriffen oder verletzt werden - ob physisch oder psychisch. Aber es wird wieder zu solchen Verbrechen kommen, wenn man einer ganzen Gesellschaftsgruppe keine Gerechtigkeit widerfahren lässt und ihnen nicht den gleichen Respekt entgegen bringt und die gleichen Chancen einräumt wie einem deutschen Mann.

Abschließend möchte ich noch sagen, dass ich "Rassismus gegen Deutsche in Deutschland" für ein Ding der Unmöglichkeit halte. Nach meinem Verständnis von Rassismus (wie auch Sexismus) kann jeweils eine Gruppe mit mehr gesellschaftlicher Macht (aufgrund der schieren Zahl ihrer Mitglieder oder aufgrund vorhandener Privilegien) rassistisch bzw. sexistisch gegenüber einer Gruppe mit weniger gesellschaftlicher Macht sein.
Wenn man das umgekehrte Phänomen beschreiben will, würde ich schlicht auf Ausdrücke wie "Deutschenhass", respektive "Vorurteile auf Grundlage des Geschlechts" zurückgreifen. Sie sind mitunter umständlicher, aber Sprache formt die Art wie wir denken. Deswegen lege ich Wert auf eine klare Trennung der Begriffe.

Mittwoch, 6. Juli 2011

Gesellschaftstherapie

Was macht man, wenn eine Person, die gerade erst herausgefunden hat, dass sie homo-, bi- oder pansexuell ist, sich nicht damit wohlfühlt? Was macht man, wenn auch Menschen, die sich über ihre sexuelle Orientierung schon länger im Klaren sind, nicht das Gefühl haben, ihren Platz in der Gesellschaft finden zu können?
Ändert man die Gesellschaft, damit diese Menschen sich als ein Teil davon fühlen können, einen Teil, der geschätzt und unterstützt wird und eine der vielen menschlichen Schattierungen darstellt, die eine interessante diverse Gesellschaft ausmachen? Greift man dort mit Aktionen ein, wo der gesellschaftliche Wandel auf sich warten lässt, wo eine Korrektur von destruktiven Aussagen von Nöten ist, damit sich niemand um sir körperliches und psychisches Wohlergehen sorgen muss?
Weit gefehlt! Der "führende Kopf des Bundes Katholischer Ärzte", Gero Winkelmann, meint.
"Wir wissen von vielen homosexuell empfindenden Menschen, die sich in einer geistig-psychischen Notsituation befinden und stark leiden" [...] "Wenn sich jemand unglücklich, krank oder in einer Notsituation fühlt, soll er bei uns Hilfsmöglichkeiten aufgezeigt bekommen."
Die psychischen Probleme stammen also schlicht nicht aus anderen Quellen, wie Probleme mit der Arbeit, Familie, dem Umfeld oder gar der Tatsache, dass es in dieser Gesellschaft weit verbreitet ist, Menschen mit nicht-heterosexueller Orientierung zu diskriminieren - nein, dies ist offensichtlich ein Wunder - denn die psychischen Probleme scheinen sich ohne gesellschaftlichen Kontext zu entwickeln. Wenn das nicht eine bahnbrechende Beobachtung ist. Ich dachte immer, die einzigen Umstände, die die Psyche ohne den Einfluss des täglichen Lebens beeinträchtigen können, seien psychische Krankheiten per se. Und das erinnert mich daran, dass Homosexualität seit 1993 nicht mehr als psychische Krankheit im "International Code of Diseases" der WHO vermerkt ist.
Wo also könnte der Bund Katholischer Ärzte hier etwas missverstanden haben...

Der Spiegelartikel, aus dem ich zitierte.



Zweisatz

Freitag, 17. Dezember 2010

Assange, der Held

Da ich mich fühle, als würde ich lediglich wiederholen, was schon tausendfach gesagt wurde (hätte gesagt werden sollen?), werde ich mich kurz fassen;
- Auch Menschen, die allgemein Gutes getan haben, können Vergewaltiger sein.
- Nur weil ein politisches Interesse daran besteht, einen Menschen (und die Organisation dahinter) zu diskreditieren, heißt das nicht, dass mutmaßliche Vergewaltigungs-Opfer lügen.
- Wer sich für links hält, aber diese Frauen schon aus Prinzip als Lügnerinnen darstellt, sollte überlegen, ob en geeignet ist, die Welt zu retten.
Machen wir uns nichts vor; wenn es nicht um Assange ginge, wären diese beiden Anzeigen genau so ineffizient bearbeitet worden wie viele andere Anzeigen zu sexueller Gewalt auch. Aber das ist ein Thema für einen anderen Tag.

Ich sage nicht, Assange ist schuldig. Aber ich sage definitiv auch nicht, dass er unschuldig ist, nur weil er sich für eine gute Sache eingesetzt hat. Das eine hat mit dem anderen schlicht nichts zu tun.

Samstag, 4. September 2010

Jeder Schritt einer in die falsche Richtung

Alaska hat nun ein Gesetz verabschiedet, dass minderjährigen Mädchen auferlegt, im Falle einer ungewollten Schwangerschaft beide Eltern zu verständigen, sollte sie eine Abtreibung vornehmen lassen wollen. Deren Kenntnisnahme muss mit Hilfe eines offiziellen Dokuments festgehalten werden.
Man hat natürlich ignoriert, dass es Mädchen mit abwesenden Elternteilen, mit toten Eltern, drogenabhängigen Vormündern oder Eltern irgendwo auf Weltreise gibt. Oder schlicht die Väter (ja, meist Väter), die so selbstzentriert sind, dass es sie nicht weniger interessieren könnte, was mit ihrem Kind geschieht und keinen Grund sehen, das Formular ausgefüllt zurückzusenden.

Montag, 14. Juni 2010

Reichstag der Medien

Bei Stefan Niggemeier ist informativ nachzulesen, wie mal wieder einer Frau ihre Kompetenzen bezüglich Fußball abgesprochen werden, weil ... vermutlich ihr Geschlecht dabei im Weg ist. Die Beweisführung muss ich jemand anderem überlassen.
Ironischerweise handelt es sich bei Katrin Müller-Hohensteins Fehler um nichts, was auch nur im Entferntesten das Regelwerk betrifft (und damit ihr Unvermögen in irgendeiner Art beweisen würde), sondern um eine vermeintliche Naziparole. Gemeint ist der Ausspruch, etwas Erfreuliches sei für jemanden „wie ein innerer Reichsparteitag“, was wohl eine gängige Redewendung ist, nur aus offensichtlichen Gründen im Fernsehen gemieden wird.
Umso überzeugender ist dieWelt Online, die den „Fehltritt“ der ZDF-Moderatorin angeprangert hat; Gleichzeitig finden sich in der Online-Ausgabe der Zeitschrift, wie Niggemeier aufzeigt, Artikel, in denen der Ausdruck benutzt wurde. Vermutlich unbehelligt - schließlich waren die Autoren keine Fußball kommentierenden Frauen.
Ebenso wie die Welt Online geriert sich Rüdiger Suchsland auf Telepolis, der „argumentiert“, dass Frau Müller-Hohenstein vor allem unqualifiziert für ihre Tätigkeit sei (was mit ihrem Ausspruch überhaupt nichts zu tun hat, also warum schreibt man darüber?), da sie Theaterwissenschaft studierte. Rüdiger Suchsland, dessen längste Beiträge Filmrezensionen sind oder sich um Ästhetik drehen, hat da natürlich mehr Kompetenz. Oh Moment, was?

Nachtrag: Es stellt sich heraus, dass noch ganz andere Kompetenzen von Katrin Müller-Hohenstein unterschlagen wurden; Laut Wikipedia hatte sie ihr Studium abgebrochen, seit 1992 (!) ist sie für Radio und Fernsehen tätig, seit 2006 co-moderiert sie das aktuelle sportstudio. Nicht davon zu reden, dass sie den Bayerischen Sportpreis sicher nicht ohne Grund erhalten hat, selbst aktiv Tennis spielt und eine braunen Gürtel in Judo besitzt.

Zweisatz

Samstag, 8. Mai 2010

Befürworten Sie etwa Kindesmissbrauch?

Solch eine oder ähnliche Fragen kann man zu hören bekommen, wenn den Verteidigern von Internetsperren die Argumente ausgehen. Denn wer will schon als verdeckter Sympathisant von Sexualstraftätern betrachtet werden?
Es gibt aber eine lange Liste von Bedenken gegen die Sperren, über die zu sprechen man sich nicht verleiden lassen sollte.

Kindesmissbrauch ist schrecklich, ohne Frage. Aber während man sich Interviews mit Politikern wie Cecilia Malmström durchliest, der EU-Kommissarin für Innenpolitik, kann man schnell den Eindruck gewinnen, es ginge ihnen gar nicht um den Schutz von Kindern vor sexuellen Übergriffen und Misshandlungen. Die Kommissarin hatte die Forderung nach Internetsperren auf EU-Ebene erhoben und verteidigt sie gegen alle Argumente.
Im besten Falle scheinen diese Politiker auf ihre politische Karriere zu schielen, im schlechtesten Falle treiben andere Motive die Forderungen an.
Dieser Eindruck verstärkt sich, je stärker man sich mit den Kritikpunkten auseinandersetzt.

Es beginnt mit der Technik der DNS-Sperren, die zum Einsatz kommen sollen. BR-online zeigt anschaulich, dass deren Umgehung für jeden, ohne großes Fachwissen, möglich ist. Die entsprechende Software und Anleitungen gibt es kostenlos im Internet. Dies ist der Politik bewusst, aber mit dem Argument, man müsse eben "etwas" tun und dem Klassiker "die armen, armen Kinder" beharrt man weiter auf den anvisierten Maßnahmen.
Dass Löschen effektiver wäre, wird etwa von Malmström im FAZ-Interview damit beiseite geschoben, dass "viele dieser Seiten ... außerhalb der EU und sogar außerhalb jener Staaten, mit denen wir normalerweise kooperieren" lägen. Das ist falsch. Auf einen Einwurf hin, gibt sie das im nächsten Absatz auch prompt zu. Die meisten Seiten finden sich auf US-amerikanischen Servern [6]. Problematisch dabei ist lediglich, dass die USA sehr schleppend löschen, sind ihnen die entsprechenden Seiten bereits durch Meldungen von anderen Ländern bekannt. Es wäre demnach effektiver, die Zusammenarbeit mit den USA zu verbessern und deren Löschbemühungen zu verstärken.
Auf die Kritik hin, dass die Technik, die für die "Zugangserschwerung" benötigt wird, eine Zensurinfrastruktur errichten wird, die ebenso für das Sperren anderer Inhalte genutzt werden kann, folgen Beteuerungen. Man habe ausschließlich vor, den Zugang zu Seiten zu erschweren, die kinderpornographisches Material anböten. Dies wirkt in Verbindung mit einem anderen Argument für die Sperren wie ein Insider-Witz; Innenminister de Maizière befleißigt sich des beliebten Scheinarguments, dass viele andere Länder doch schon sperren würden, "auch solche mit einer langen liberalen Tradition wie in Skandinavien."
Schauen wir uns doch einmal die anderen Länder und ihre vorbildliche Umsetzung der Sperren an; England sperrt illegale Musik-Tauschbörsen, Dänemark Internetangebote für Glücksspiel, Italien die ganz wichtigen Ziele im Kampf gegen Kinderpornographie - Seiten, die Zigaretten verkaufen oder gegen die Machenschaften der Mafia vorgehen wollen. Australien hat sich wohl gedacht: 'Ganz oder gar nicht'. Seine Sperrvorhaben erstrecken sich auf alles Mögliche, das "jugendgefährdende Inhalte" verbreitet. Darunter auch Glücksspiel und "Anleitungen zu Kriminalität und Drogenkonsum".
Ein weiterer Kritikpunkt führt die Sperren ad absurdum (zumindest, wenn man mal annimmt, sie sollten der Bekämpfung von Kinderpornographie dienen): das meiste kinderpornographische Material befindet sich nicht auf frei zugänglichen Internetseiten, sondern wird per Peer-to-Peer Programmen weiter verbreitet, also auf Internet-Tauschbörsen. Dabei werden die Dateien direkt von anderen Nutzern geladen. Diese Praxis wird von Sperren in keiner Weise tangiert. Der Pressesprecher des Internetanbieters 1&1, Andreas Maurer, weist darauf hin, dass, neben Tauschbörsen, per Handy oder auch per Post getauscht wird. Vielleicht sollten wir einfach ein großes rotes Stoppschild vor Postschalter und öffentliche Briefkästen hängen.
Nicht zuletzt scheinen die Befürchtungen, die Unterhaltungsindustrie würde sich der Infrastruktur gerne bemächtigen, begründet, seit EU-Abgeordneter Christian Engström berichtete, dass ein Anwalt der Musiklobby 2007 gesagt habe, "dass Kinderpornos "großartig" seien, da man über sie Politiker zur Einführung von Netzsperren bewegen könne."
Demnach kann man, wenn sich zeigt, dass die eingeführten Sperren leicht zu umgehen sind (was jetzt schon feststeht), invasivere Verfahren anwenden, wie die deep packet inspection, die bereits in Großbritannien getestet wird.
Dabei handelt es sich nicht um das Äquivalent zur Aufzeichnung von Verbindungsdaten, wie es bereits in Deutschland durch die Vorratsdatenspeicherung bekannt ist, sondern entspricht dem Vorgehen, den Inhalt von Telefongesprächen gleich mitzuschneiden. Denn bei dem Verfahren werden Inhalte von elektronischen Nachrichten ebenfalls analysiert. Schöner neuer Datenschutz.
Sehr delikat ist auch, wie die Sperrpläne in der EU durchgesetzt werden sollen. Mit 300.000€ finanziert man Lobbyarbeit, um die Abgeordneten zu überzeugen, für Malmströms Vorschlag zu stimmen. Das Geld fließt ausschließlich an Jugendschutzorganisationen, zusammengefasst in der Dachorganisation eNASCO, die die Internetsperren ausdrücklich befürworten. Dabei erhält ein Opferschutzverein wie der deutsche MOGiS, der die Pläne kritisch sieht, keine Unterstützung.
Grund, besorgt zu sein, gibt es genug. Die Organisationen plädieren in ihrem eNASCO-Manifest dafür, eine möglichst ausführliche Liste von Seiten mit kinderpornographischen Material anzulegen. Diese soll Filteranbietern und Firmen mit "materiellem Interesse" zur Verfügung gestellt werden. Christian Bahls, der offizielle Sprecher von MOGiS, erklärt, die Seiten "gehören gelöscht und nicht in Form von gelben Seiten zusammengefasst und an jeden verteilt, der ein 'materielles Interesse' daran nachweisen kann!". Wie sich immer wieder zeigt, sind auch "geheime" Dokumente nicht sicher vor Weiterverbreitung. Und welches Szenario wäre zynischer, als dass die Liste zu Kinderporno-Konsumenten durchdringt und sie mit Hilfe der oben genannten Umgangsmöglichkeiten alle Seiten zielsicher ansurfen können.
Eine grandiose Idee aus den Reihen der EU-Politiker soll bereits umgesetzt werden: die Altersgrenze der EU für Kinderpornographie steigt von 14 auf 18 Jahre. Schön, dass wir uns der USA annähern, die inzwischen Jugendliche als sex offenders (Sexualstraftäter) registriert, die ihre ersten gegenseitigen sexuellen Erkundungen vornehmen und von "wohlmeinenden" Familienmitgliedern der Polizei gemeldet wurden. So weit wird es mit dieser Änderung nicht kommen, aber was passiert mit zwei Jugendlichen, die es für eine gute Idee erachten, sich beim Sex zu filmen? Was passiert gar, wenn eine/r von ihnen älter ist als 18 und von der Familie angezeigt wird?

Dies ist nicht alles, was man zu dem Thema sagen kann, aber zeigt auf, warum ich der häufigen Äußerung, die Maßnahmen dienten ausschließlich dem "Kampf gegen Kinderpornographie", keinen Glauben schenke (Grüße an England, Australien, Italien).
Unter diesem Gesichtspunkt ist es sehr unerfreulich, dass nun auf EU-Ebene Netzsperren durchgesetzt werden sollen, gerade als erreicht wurde, dass das deutsche Gesetz nicht angewendet wird, obwohl man es in einer politischen Farce beschlossen hatte. Statt dessen gibt es klare Anweisungen, die Seiten zu löschen und Angebote, die sich auf ausländischen Servern befinden, an die entsprechenden Behörden zu melden.

Und wenn noch einmal jemand glaubt, mir diesen Spruch unter die Nase reiben zu müssen: "Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein", verweise ich diese Person auf die unsägliche Impressumspflicht für fast jede Internetseite, die einen zwingt, seine persönlichen Daten an jede harmlose, unkommerzielle Seite zu hängen. Ich verweise auf die Massenabmahnungen, die in Deutschland und dem deutschen Netz gerade erstklassig die Meinungsfreiheit gefährden. Ich weise darauf hin, dass man sich, wenn man eine mehrsprachige Seite betreibt, sogar vor Gerichten in mehreren Staaten wiederfinden kann.
Besonders Politiker sollten solcherlei Polemik nicht in den Mund nehmen, wenn sie ernstzunehmende Volksvertreter darstellen möchten. Genau, Herr de Mezière.


Quellen:
1 BR-online: Kampf gegen Kinderpornografie - Netzsperren und Internetstreife
2 FAZ: EU-Kommissarin Malmström über Netzsperren
3 taz: "Keine No-go-Area im Internet"
4 Spiegel online: Warum der Sperren-Streit Zeitverschwendung ist
5 Interview mit Andreas Maurer (1&1) zum Thema Internetsperre (Video)
6 Die Presse: EU zahlt 300.000 Euro für Pro-Netzsperren-Lobbying
7 Computerworld: Lone IT industry voice speaks out against EU Web filter plan
8 Heise: Sperrlisten "so umfangreich wie möglich"

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